Stein-Anschlag im Paradies
Wir sind fast gestorben aber dafür hatten wir ein schönes Wochenende
Mein Kletterpartner hatte mich gefragt, ob ich Lust habe, mit zum Canyoning zu
kommen. Klar! Lustig abseilen, Flüsse runterrutschen und eine Nacht entspannt im Wald am Lagerfeuer verbringen. – Soweit meine kindlich naive Vorstellung von unserem zweitägigen Trip der zu meiner intensivsten Nahtoderfahrung werden sollte.
Zunächst ging ich aber lediglich von der falschen Richtung aus. Aber spätestens als die Liste der notwendigen Kletterausrüstung immer länger wurde und schließlich bei Hammer und Felshaken endete, hätte mir dämmern müssen, dass diese Flusswanderung nicht mit der Schwerkraft läuft.

So war es dann auch. Anstatt lustig von oben runter zu springen, stand ich dann am falschen Ende vom Wasserfall. Neben mir 3 Japaner in Neopren. Ich nur mit geliehen Schühchen und Wadenwärmern. Soweit so kalt. Während es in Tokio 30 Grad waren, hatte die Flussschlucht nur geringfügiges Interesse ein guter Gastgeber zu sei und ließ den Heizregler auf Frostschutz stehen.
Doch er hatte es in sich. Die hier praktizierte Variante von Canyoning ist eine überaus sympathische (vorsicht, subjektiv) Kombination aus Schwimmen, Bouldern, Deep Water Soloing, Alpin klettern, von Stein zu Stein springen und Wandern.
Manchmal reicht es mit Gummischühchen den Fluss zu laufen, balanciert über Baumstämme und springt von Fels zu Fels. Wobei das eigentlich nur oberflächiges rumgespieße ist, weil nass wird es eh, sobald der Fluss das sagt. Denn ab und zu kommen dann „Pools“ mit Steilwänden, wo nur noch schwimmen hilft. In der Regel ist am Ende des Beckens ein Wasserfall, der natürlich auch vorsätzlich auf Krawall gebürstet ist und einen selten, im Bemühen ihn zu erreichen, unterstützt.

Nach erfolgreichem schwimmen gegen den Strom ist und sich und sich maximal individuell fühlt, weil man in die Falsche Richtung unterwegs ist, heißt es dann noch rausklettern aus den Wassermassen.
Outdoor Sushi
Unter kalten und Atmung-unterbindender Wassergischt heißt es dann je nachdem wie der Fels beschaffen ist, klettern. Bei kurzen leichten, strecken heißt es dann bouldern. Wenns lang und schwer wird, aber ein einladendes Wasserbecken drunter ist deep-water-soloing. Trifft beides nicht zu bleibt nur noch klettern und Sicherungen setzen.
Das Ganze verlief so weit problemfrei und spaßig. An unserem bescheidenem Campingplatz angekommen, ging dann die Nahrungssuche los. Leider beschränkte sich die Gefangene Menge lange auf „mit dem Nächsten einen“.
Der Finale gelungene Fang fiel aus versehen angeschlitzt wieder ins Wasser. Das Ergebnis war, dass 3 Stirnlampen mit Japanern darunter mit einem Messer bewaffnet, einen teilinvaliden Fisch in einem Tümpel nachstellten, diesen wieder erblickten und in guter Animemanier hinterherrannten, bis er wieder entschwunden waren. Das es war passe, also blieb nur zu hoffen, dass er wenigstens noch das örtliche Krankenhaus fand.

Da sich schließlich kein Fisch zu unserem Abendessen gesellen wollte, wurde der Plan erlassen, am nächsten Tag um 6 Uhr aufzustehen, ein wenig den Fluss runter zu wandern und dort zu angeln. Gesagt getan. Nachdem ich mir mein Frühstück aus dem Fluss gezogen hatte, beschloss mein innerer Vegetarier seinen Japan Aufenthalt vorzeitig abzubrechen und in Deutschland auf dem Flughafen auf mich zu warten.
Auf dem Weg zurück mussten wir dann aber wieder an einer Absperrung vorbei, die „Durchgang verboten“ verkündete. Hauptsächlich dachte ich, dass es sich auf den dort errichteten Bausteg bezog, den wir am Vortrag schon durchquert hatten. Ohnehin haben japanischen Regeln durch ihre übertriebene Anzahl und häufige Sinnlosigkeit bei mir mehr den Charakter eines höflichen Hinweis, den man nur einhält, wenn es zufällig gerade passt. Daher stieg ich frei von Zweifel über die Absperrung, was ein argwöhnisch dreinblickender Arbeiter beobachtete. Da wir dachten, dass das Schild nur für den Steg galt und auch sonst keine weiteren Hinweise enthielt, liefen wir schließlich einfach durch den Fluss weiter, was scheinbar auch den Arbeiter zufriedenstellte, da kein Kommentar folgte.
Begraben unter guten Absichten
Am Zeltplatz wieder angekommen, welcher hinter einer Kette lag, die den gleichen Hinweis enthielt und somit wieder legal war, aßen wir dann nochmal in Ruhe.

Mit dem Risiko, für den nächsten Darwin Award nominiert zu werden, legte ich mich dann für ein kleines Nickerchen auf einen großen Stein in die Nähe eines alten Erdrutsches. Es war trocken, der Hang nicht weiter steil und so dachte ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf meiner Seite zu haben.
Pock.
Ein Stein. Vielleicht zu lange geschlafen, vielleicht wollten mich die anderen wecken. Also ging ich zurück zum Camp und fing an meine Sachen zu packen.
Pock, Pock, Pock….
Auf einmal kam eine recht große Steinlawine, gefüttert mit dem einen oder anderem Baumstamm an der Stelle runter, die mir gerade noch hedonistische Entspannung gewährt hatte.
Klassisch, idiotisch und uns in Sicherheit wiegend schauten wir dem Treiben der immer größer werdenden Lawine zu. Bis auf einmal der erste Stein über unseren Köpfe hinwegflog. Weiter Brocken waren unterwegs, um uns an diesem Ereignis teilhaben zu lassen. In Sekundenbruchteilen begann ein mörderischer Stein-hagel um uns herum. Schnell den Helm gegriffen und in eine kleine Felsnische gesprintet, sah ich dann Bierkastens große Steine an mir vorbeifliegen.
Emotional irgendwo zwischen Panik, Angst und völlig dämlich fühlend angesiedelt, verweilte ich in der Ecke, bis eine kurze Pause die Zeit für einen Sprint um die nächste Flussecke genehmigte. Als es scheinbar wieder sicher war, holten wir schnell unsere Ausrüstung und verschwanden so schnell wie möglich aus dem Wald Richtung Straße

Auf dieser angekommen, sah man dann auch schließlich die Ursache für die rollenden Steine. Eine Baustelle, um einen Steinschlagschutz zu errichten. Witzig, weil sinnlos, noch witziger, weil so einen Tot im Auftrag der Ironie hätte mich mit Stolz erfüllt. Denn wenn sie uns erwischt hätten, wären wohl mehr Menschen beim Bau umgekommen, als diese Millionenverschwendung im Niemandsland je hätte retten können.
Abgesehen von dem Harmonieansatz, gibt es dann in Japan noch die zweite technokratische Schule, die meint, sie könnte die Natur unter Kontrolle bringen, was gewaltige Schutzbauten, Betonüberzüge und Stahlgitter zur Folge hat. Ganz falsch ist das nicht, da gerade die extremen Regenfälle zu starker Erosion führen. Vorallem die Flusssicherungsmaßnahmen sind beeindrucken und zielführend. Bei Steinschlag bin ich mir da nicht sicher. Die extremen Witterungsverhältnisse scheinen nur bedingt Kooperationsbreit und faulen alles weg.
