Leben in Japan: Immer wieder, aber nicht für immer.

Es hat mich verändert. Es war manchmal wie im Comic, aber Japan ist für ein Auslandssemester das  spannendste Land auf den Planeten.

Gut, meine Stichproben begrenzen sich auf exakt eine Land, also Japan, und wer Superlative benutzt verliert bekanntlich immer.  Aber ich will hier noch mal kurz zusammenfassen, warum Japan für mich so aufregend war und mich verändert hat. Es aber nichts für immer ist.

Japan ist anders, komplett anders. Bei meinem Auslandssemester war es mir wichtig in ein Land zu gehen, dass am wenigsten mit Deutschland gemeinsam hat. Gepaart mit der kleinen Einschränkung, dass der Zielort auch eine Raumfahrtindustrie haben sollte, blieb mir fast nur Japan. Aber vom kulturell Gesichtspunkt aus gesehen findet man wohl kein skurrileres Land, um die eigenen Gewohnheiten ein wenig zu reflektieren.

Nicht alles ist anders in Japan. Manches aber ein bisschen.

Eher unaufgeregt

Positiv mitgenommen habe ich wohl, dass ich mich jetzt gefühlt 99% weniger aufrege. In Deutschland weiß jeder wutschäumende Bundesbürger an der Supermarktkasse, wie man schneller kassieren könnte, Fußballweltmeister wird, die Eurokrise löst, den anthropogenen Klimawandel widerlegt und den Weltfrieden bringt. Für all das braucht es kein Fachwissen, Zeit, Recherche oder Erfahrung. Der „gesunde Menschenverstand“ reicht aus. Ein Satz wie „Vielleicht hat es einen Grund, der sich uns bei flüchtiger Betrachtung nicht erschließt!“, wird in Deutschland genauso viel gebührender Respekt gezollt wie Frauenfußball. In Japan ist das Gegenteil der Fall. Nur das sie dort leider weder Frauen noch Frauenfußball gebührend respektiert werden. Dafür haben sie aber Verständnis für alles.

Letzteres macht den Alltag ungemein angenehm, denn entspannt wird man nicht durch die Dinge über die man sich aufregt. Vermutlich gibt es für jeden eine zutreffende Variation des Satzes: „Nichts ist schlimmer als Leute an der  Ampel, die erst merken das grün ist, wenn man schon 10-mal gehupt hat. Abgesehen von diesen Stressern natürlich, die nach 3 Sekunden anfangen rumzuhupen, wenn man nicht direkt gemerkt hat, das die Ampel grün ist.“ .

Harmonie und Entspanntheit in Japan. Symbolbild.

Kurz jeder hat sich wohl schon mal über das Verhalten anderer aufgeregt, welches er selbst ab und an aufzeigt. Der Unterschied ist nur, man selber hatte seine Gründe. In Japan wird allerdings vermutet, dass die Anderen auch ihre Gründe haben. Deshalb wird dort lieber prophylaktisch verziehen. Oder im Zusammenhang mit brennenden Atomkraftwerken nach einer Entschuldigung.

Nicht Naive, nur andere Erfahrungen

Das klingt selbst für mich etwas übertrieben und pauschalisiert, obwohl ich dass  immer und bei allem tue. Doch Japan hat mir auch den überwältigende Einfluss nationaler und/oder kultureller Gewohnheiten und Zwänge vor Augen geführt. Dinge, die ich für unabtrainierbare,  menschliche Verhaltensmuster  gehalten habe, waren in Japan nicht existent. Beispiel: testosterongeladene, nach Streit suchende, betrunkene Männer. Ich hielt es für ein Naturgesetz, bis spätestens 3 Uhr Nachts mindestens einmal einen aggressiven Blick oder genormten Spruch in Form von „Was guckst/tatscht du mich/meinen_Rauhaardackel an.“.

In Japan ist so was quasi nicht existent, was alle in Japan lebenden bestätigen können. Bei jedem unter Ausländern geführten Bargespräch kurz vor dem nach Hause gehen, freut sich wenigsten einer darüber, gleich ohne Angst beklaut zu werden an der nächsten Laterne einschlafen zu können. Der Einzige, der mich je auf dem Weg nach Hause von der Seite angesprochen hatte, war ein Bahn-Security, der wissen wollte, wo ich hin wöllte, um mich dann ans richtige Gleis zu führen. Als ich letzeres  begeistert meinen japanischen Freunden erzählte, erntete ich nur fragende Blicke. Dafür sei er ja da. Für noch mehr Irritation sorgte meine Entgegnung, dass der Sicherheitsdienst in unserem Breiten Vandalismus oder Gewalt verhindern soll, etwa wenn sich wer prügeln will. Eine Frage sagt manchmal mehr als tausend Antworten und so stutzte ich, als ein Japaner entgegnete: „Sich prügeln? Warum sollte jemand das tun?“.

In diesem Moment durchlebte ein Gedanke in meinem Hirn eine schleppende Metamorphose. Er schaffte die Verwandlung von „Blöde frage“ über „Wow ich bin in einer verzauberten Märchenwelt voller naiver Fabelwesen“ zu „Warum sind wir so?“. Ich nahm mir vor die Frage weiterzugeben und hoffe dass ich dafür keinen kassiere.

Entschuldigen Sie, Ihr Atomkraftwerk brennt. Soll das so?

In Japan macht es sich leider aber auch bemerkbar, dass eine Gesellschaft im Zen Modus seine Schattenseiten hat. Nachdem Tepco 3 Monate lang Lecks in der Atomanlage von Fukushima vertuscht hatte, verkündete der Pressesprecher folgendes: „Wir wussten davon. Seit drei Monaten. Wir haben aber nichts gesagt. Das tut uns Leid. Entschuldigung“. Dann  verbeugt sich der Verantwortliche und die Sache war erledigt. Während ich es nicht fassen konnte, saßen meine Freunde neben mir auf der Couch und Fragten mich, was der Sprecher den noch tun solle? Er habe sich doch entschuldigt“.

Was bei Kleinigkeiten den Alltag entspannt, ist bei echten Problemen für Ausländer nur schwer verdaulich. Die entspannte, vergebende Einstellung ermutigt häufig zum Nichtstun. Erstaunlich fand ich hier die Schulbildung bezüglich Massentierhaltung. Ein japanischer Freund erklärte mir, dass im Schulunterricht gezeigt wird, wie schrecklich Tiere gehalten werden. Daher ist Dankbarkeit geboten, wenn man sie isst, quasi als Entschuldigung für ihre Qualen. Damit ist es bis zum nächsten Mal vergeben. Hat dann auch wieder was katholisches.

Hilfswillig aber nicht bereit

Die Hilfsbereitschaft bzw. -willigkeit ist ebenfalls überwältigend, aber nicht immer hilfreich. Kaum ein Japaner wird einen Ausländer, bei einem Hilfegesuch zurückweisen. Die Bereitschaft ist vorbildlich, leider aber auch Produkt eines gesellschaftlichen Zwanges. In Deutschland braucht es vielleicht fünf Versuche, bis der Erste freundlich antwortet und hilft. Dafür wird der fünfte es aber auch gerne machen und helfen können. In Japan werden alle fünf Leute versuchen zu helfen. Vier Leute haben aber eigentlich keine Zeit, Lust, Ahnung oder verstehen fremdmenschliche Sprachen nicht, was für beide Parteien wenig hilfreich ist. Nicht selten wusste ich 10 Sekunden, nachdem ich nach dem Weg gefragt habe, plötzlich, wo ich lang musste. Zumindest tat ich so, weil ich merkte, dass mein Gegenüber auch keine Ahnung hatte oder Schweißperlen im Gesicht, weil sie vermutlich eine Bahn erwischen musste.

Ich hätte gerne etwas von beiden

Im Prinzip fände ich es toll, wenn sich Japaner und Deutsche in der Mitte treffen würden. Aber das mit der Mitte ist ja nicht so neu. Aufbauend auf dieser Erkenntnis, hat sich ja schon Buddha selbstständig gemacht.

Soweit ein Abriss darüber, warum ich es erlebenswert finde. Warum aber immer wieder und nicht für immer?

Immer wieder, weil man sich in Japan unbekümmert bewegen kann und freundlich, schlimmstenfalls höflich, empfangen wird. Außerdem ist  Japan einfach schön. Die Gärten und traditionelle Holzarchitektur sind sehenswert, das Essen ist essenswert, die Natur bewundernswert. Gerade Letzte hat es mir angetan. Japan ist eine Ansammlung malerischer Landschaften, mit traumhaften Bergen. Es ist ein Paradies für Wanderer, als hätte jemand die Schweiz in den Pazifik geworfen und ein paar Berge angezündet. Das sorgt auch für neue Erkenntnisse. Während wir hier Boden als Dreck im festen Zustand gewohnt sind, war für mich in Japan zum ersten Mal erfahrbar, was im Unterricht über die Erde gelehrt wird. Gelegentliche Erdbeben, Matsch-speidende Schlammvulkane, rauchende Lavaschlote und riesige Calderen und Magmafelder visualisieren, dass wir auf gigantischen Gesteinsplatten über einem Lavaozean schippern.

Ist so gewollt.

Dauerhaft leben wollte ich aber nicht in Japan, weil Leben -nach meiner Definition- in Japan schwer ist. Die Arbeitszeiten und Urlaubstage sind auf dem Papier entspannter als in Deutschland. In der Praxis gehört es sich jedoch nicht von diesen Gebrauch zu machen, da man sonst den Kollegen seine Arbeit aufbürden würde. Zum Klischee der japanischen Workaholics kann ich zwar Lustiges, aber nichts entwarnendes erzählen…

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