Schirm, Scharm und Schweißmaske: Regenzeit in Tokyo

Regenzeit. Das ist das, was wir im Sauerland aus Mangel an Alternativen Sommer nennen. Allem Lokalpatriotismus zum Trotz muss ich aber zugeben, dass es in Tokio wohl mehr regnet. Vor allem die Anschlussjahreszeit in Tokyo übertrumpft die des feuchten Waldlandes um Längen. Herbst ( sauerländisch für kalte Regenzeit) beginnt in Tokio schon im September und hat nicht zu unrecht seinen einladenden Namen Taifun-Saison.
Der Regenfall in diesem Monat verleitete einen dazu ein Schiff zu bauen und aus dem Zoo je zwei Tiere von jeder Art zu klauen.

Zeit genug wäre auf jeden Fall dafür, da in dieser Zeit sogar Busse und Bahnen an dem einen oder anderen Tag ausfallen und dann selbst der härteste Klischee-Japaner der Arbeit zumindest physisch fern bleibt. Man möchte also meinen, dass die Japaner regentechnisch kampferprobt sind und Regenschirme maximal als Spazierstöcke benutzen.

Weit gefehlt.

Vitamin D Skeptikerin

Wenn einige Damen mit Regenschirmen umher laufen, gilt es als gesichert, dass es regnet. Oder die Sonne scheint. Wer jetzt denkt, macht Sinn, ist ja schließlich ziemlich heiß in Japan, unterliegt mal wieder dem Trugschluss, dass Logik in Japan immer der primäre Beweggrund für Handlungen ist .

Denn Logik als Grund kommt erst zum Zug, nachdem wesentlich wichtigere Dinge wie Ästhetik, Tradition oder Zufall abgehakt wurden. In diesem Fall geht es um Ästhetik. Während in deutschen Hautkrebsstudios blasse Kartoffeln versuchen ihre Haut eine Oberflächenstruktur einer Second-Hand Lederjacke aus Orangenschalen zu verleihen, ist in Japan weiterhin die vornehme Blässe ein Schönheitsideal. Deswegen gibt es auch praktische Handschuhe bis zum Oberarm und Visierkappen, die eher an Schweißerhauben erinnern. In Kombination, besonders am Strand, mutet dies dann wie eine skurrile Kreuzung aus streng gläubiger Muslimin und Darth Vader an.

Der Ernstfall

Wieder in den Regen oder was man dafür hält.

Wenn auch das andere Geschlecht und Frauen ohne Handschuhe mit Regenschirm umherstreunen, ist das immer noch kein sicheres Anzeichen für Regen. Es kann auch bedeuten, dass irgendwer im dritten Stock sein Handtuch ausgewrungen hat. Der abwehrbereite Japaner, der Opfer dieses Angriffes wurde, hat dann wahrscheinlich mit den blitzschnellen Reflexen, wie sie nur ein Nachfahre der Ninjas besitzen kann, seinen Regenschirm aufgespannt. Im Anschluss sorgt dann die Anpassungs-La-Ola-Welle dafür, dass in Sekunden ganze Straßenzüge mit Regenschirmen bedeckt sind.

Zumindest ist das in meiner Fantasie so. Anders jedenfalls kann ich mir das kollektive unterm mobilen Privatdach laufen bei 5 Tropfen die Stunde nicht erklären.  Wenn es dann allerdings mal regnet, zerlegt es häufig sämtliche Regenschirm innerhalb von Minuten, weil nass in Tokio oft mit windig einhergeht.

Da ist es dann vielleicht auch ganz nett, seinen Schirm bei schönem Wetter mal benutzt zu haben, bevor er im ersten richtigen Einsatz direkt seinen Verletzungen erliegt. (Ich hoffe mein Knirps ist jetzt in einer besseren, windfreien Welt).

Der Umgang mit dem Anti-Regenzepter ist aber auch sonst sehr spannend.

Regenschirme: Haltung im Haus

Verwechselsicherung

Häufig gibt es verschließbare Halterungen, um seinen Regenschirm vor Geschäften gesichert hinzuhängen. Nicht aus Angst vor Diebstahl, wie man mir versicherte -so unhöflich ist hier schließlich keiner-, sondern damit die Schirme nicht verwechselt werden.

In anderen Geschäften gibt es wiederum automatische Einweg-Plastik-Überstülptüten. Mit diesen kann der Schirm mit reingenommen werden, ohne alles vollzutropfen. Beim aufrichtigen Deutschen mit Plastikphobie löst das natürlich Schreikrämpfe aus, ist aber bei der Menge an Regen auch nicht ganz unbegründet; und da ansonsten ohnehin gefühlt jedes Bier einzeln in eine Tüte eingewickelt wird, geht der gesteigerte Plastikverbrauch durch die Schirme wohl ohnehin im Messrauschen unter.

Schirmanzieher

Der Großteil der Schirme ist transparent, was ich ziemlich unästhetisch fand. Allerdings sind sie zugegebenermaßen praktisch. Bei der Menge an Bürger pro Steig und starkem Wind müssten ohne Sicht durch den Schirm zwangsläufig nach jedem Spaziergang Dutzende aufgespießter Augen von den Schirmstangen gepflückt werden.

Wasser von unten.


Dafür gibt’s Flip Flops, Gummistiefel oder wahlweise Fußpilz in dauerhaft feuchten Schuhen.
Gummistiefel gibt es in allen Formen und Farben und sogar mit High Heels und anderen wichtigen Dingen, die Schuhe brauchen.  Allerdings sind Gummistiefel nicht so meins und für Fußpilz habe ich schon meine Kletterschuhe. Bleiben Flip Flops. Mit diesen an den Füßen, kurzer Hose und meinem gepflegten Haarschnitt haben mir dann allerdings die anderen Fremdmenschen im Sprachkurs immer vorgeworfen, dass ich aussehe als wäre ich nach 5 Monaten auf einem Floss in Tokio angelandet angespült worden.

Aber naja, ist halt praktisch und will ja auch keinen mit Ästhetik beeindrucken, bin ja ohnehin nur zufällig hier.

Praktischerweise pragmatisch.

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